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Bildung im steten Wandel

Interview mit dem Lehrmittelautor des hep Verlags Aymo Brunetti
über die Zukunft des Lernens.

Professor Brunetti, welche Bedeutungen hat Bildung für eine Volkswirtschaft?

Bildung, also Humankapital, ist ein zentraler Faktor für die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Für die Schweiz ist es eine entscheidende Grundlage für ihren im internationalen Vergleich grossen Wohlstand. Das hat sie mitunter ihrem dualen Bildungssystem zu verdanken. Bildung wird für den Einzelnen immer wichtiger, seit die Menschen im Laufe ihres Berufslebens viele verschiedene Tätigkeiten ausüben.

Was denken Sie, als Lehrmittelautor und Professor an der Universität Bern, wie wird in Zukunft gelernt? 

Seit ich vor gut 20 Jahren meine Vorlesungsnotizen zu einem Lehrbuch mit dem Titel ”Volkswirtschaftslehre – eine Einführung für die Schweiz” verarbeitete, hat sich das Lernen in meiner Wahrnehmung zwar verändert, aber nicht fundamental. 

Das Internet gab es damals schon eine Weile, und es hatte Bewegung in die Art und Weise des Lehrens und des Lernens gebracht. Ich denke z.B. an das wegweisende Online- Bildungsangebot ”iconomix’’ der Schweizerischen Nationalbank. Es stellt seit 2007 ergänzende Unterrichtsmodule für den Wirtschaftsunterricht an Mittel- und Berufsfachschulen zur Verfügung. 

Was sehen Sie an neuen Entwicklungen auf Lehrpersonen und Lernende zukommen? 

Das Aufkommen von ChatGPT und anderen Werkzeugen mit künstlicher Intelligenz könnte die Art und Weise, wie wir lernen, erneut weiterentwickeln. Noch ist aber wenig absehbar, wie genau. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass Dozierende kleinere Klassen oder Seminarteilnehmende einladen, ein Thema mit Hilfe von ChatGPT vorzubereiten und die Ergebnisse dann in der Gruppe zu diskutieren. Wichtig erscheint mir dabei, dass die Studierenden im Umgang mit Informationen aus solchen Technologien angeleitet werden. 

Wie verändern sich die Inhalte von Lehrbüchern im Laufe der Zeit?

In der Volkswirtschaftslehre gibt es Mainstreamwissen, das über Jahrzehnte Bestand hat. Daneben gibt es Themen, die eine Zeit lang in den Hintergrund treten können, dann aber aus aktuellem Anlass immer wieder im Lehrstoff auftauchen. Ein solches Thema ist die Inflation. Sie war lange Zeit konstant niedrig und wurde in dieser Zeit kaum mehr als Problem wahrgenommen. Nach der Coronapandemie kam die Inflation zurück. Aus diesem Anlass habe ich ihr in der Neuauflage meines Buches ”Volkswirtschaftslehre” als Thema, das immer schon behandelt wurde, wieder mehr Platz eingeräumt. 

Was passiert mit dem Wissen, das nicht Mainstream ist? 

Neue wissenschaftliche Grundlagenarbeit findet erst viele Jahre später Eingang in die Lehrbücher. Und das ist gut so, weil sich neue Erkenntnisse erst bewähren müssen und man sicher sein sollte, dass ein Forschungsergebnis genügend fundamental ist, um in verschiedensten Kontexten und institutionellen Umgebungen relevant zu sein. 

Die Lehrinhalte ändern sich deshalb nur in kleinen Schritten und der grösste Teil dessen, was in Lehrbüchern steht, ist schon sehr lange bekannt und Teil des Mainstreams.

Wie lehren Sie und welche Rolle spielen dabei digitale Hilfsmittel?

Ich baue meine Vorlesungen so auf, dass ich die Zusammenhänge des Stoffes live vor den Studierenden entwickle. In dieser Hinsicht gehöre ich zur alten Schule. Meine Erfahrung mit dem Präsentationswerkzeug PowerPoint ist, dass damit in der Regel zu viel Information zu schnell vermittelt wird und bei den Studierenden weniger hängen bleibt. Ausserdem lässt mir die Präsentation mit PowerPoint weniger Freiheiten, vom Plan abzuweichen, wenn ich während des Unterrichts merke, dass es Vertiefungen oder zusätzliche Anwendungsbeispiele braucht. 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich durchsetzen wird, dass Lehrveranstaltungen nur noch auf elektronischem Weg durchgeführt werden. 

Wo sind aus Ihrer Sicht digitale Hilfsmittel nützlich? 

Es ist sinnvoll, Lehrbücher sowohl in analoger als auch in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. Die Studierenden können zwischen Buch und eReader wählen, welches Medium für sie am besten geeignet ist. 

Werkzeuge wie die App des hep Verlags mit digitalen Lernkarten sind hilfreich, um sich zentrale Begriffe einzuprägen. Das reicht aber für sich alleine nicht. Bei der Volkswirtschaftslehre sind Zusammenhänge wichtiger als das Auswendiglernen von Begriffen. Lehrbuchtexte bleiben deshalb meines Erachtens zentral. 

Als wertvoll erachte ich auch Videos, die Navigationselemente, Selbsttests und weiterführende Informationen als interaktive Elemente integrieren. Vor einigen Jahren haben wir an der Universität Bern im Rahmen der flashMOOCs ein interaktives Video zum Verständnis der Rolle von Banken und Finanzkrisen produziert. 

Darüber hinaus bietet die Digitalisierung eine Reihe von Vorteilen in der Produktion von Lehrbüchern. Diese Errungenschaften erleichtern mir die Überarbeitung meiner Bücher für Neuauflagen erheblich. 

Was geben Sie als Vater Ihren Kindern punkto Bildung mit auf den Weg? 

Meine Kinder lasse ich mit Volkswirtschaftslehre und Lernstrategien in Ruhe (lacht). Sie müssen selbst beurteilen, was für sie passt. 

Dann diese Frage: Welche Lehrerinnen oder Lehrer haben Sie geprägt? 

Was mich geprägt hat, waren gute Lehrbücher. Die besten in der Volkswirtschaftslehre stammen fast ausnahmslos von angelsächsischen Autoren. Im Gegensatz zu vielen Autoren im deutschsprachigen Raum schreiben sie – um es plakativ auszudrücken – für das Verständnis der Studierenden und wollen nicht zeigen, wie schlau sie sind. Nur so lässt sich bei Studienanfängern Interesse für das Fach wecken. 

In der Volkswirtschaftslehre gibt es drei, vier einfache Konzepte, mit denen man schon sehr vieles in der Welt verstehen kann. Dafür möchte ich werben.

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